Lesepredigt

Lesepredigt zu Kantate (28.04.2024)

Offenbarung 15,2-4

 

 Gnade sei mit euch und Friede von Gott unserm Vater und dem Herrn Jesus Christus.

 Es ist noch gar nicht lange her, dass wir den Ostersonntag gefeiert haben. Zur Begrüßung an diesem Tag gehört für mich der alte Jubelruf der ersten Christinnen und Christen dazu: „Der Herr ist auferstanden!“ – welch wunderbares Wort zur Begrüßung, doch ich merke auch, dass vielen diese Begrüßung am Ostermorgen fremd geworden ist. So reichen die Antworten auf meinem Gruß von einem freudigen Halleluja über ein Danke bis bin hin zu einem Zurückschrecken von Touristen, die ganz kleinlaut fragen, ob sie dennoch die Kirche besichtigen dürfen. Der Jubel über unseren Glauben in der Öffentlichkeit ist selten geworden. Für viele fühlt es sich heute mittlerweile fremd an den Glauben laut und öffentlich zu bekennen – auch für die ersten Christinnen und Christen war es nicht selbstverständlich den eigenen Glauben laut auszusprechen – auch wenn die Gründe dafür anders gelagert waren.

Unter den römischen Kaisern kam es zu schweren Christenverfolgungen: Entweder man betet zum Kaiser oder macht sich des Hochverrats schuldig. Eine beklemmende Situation muss das für unsere ersten Glaubensgeschwister gewesen sein. Historische Zeugnisse berichteten davon, wie sich Christinnen und Christen damals fürchteten von Nachbarn und Freunden verraten zu werden. Wie man versuchte nach außen den Schein des guten römischen Bürgers zu wahren. Es gibt Berichte, dass sich gegen Geld Zeugnisse ausgestellt wurden, dass man auch dem Kaiser ein Opfer dargebracht hat – alles nur, um nicht aufzufallen. Historische Zeugnisse, die bestimmt auch einige der hier Anwesenden an die schwierige Zeit der DDR erinnern. Inmitten dieser Situation schreibt der Seher Johannes an die Gemeinden und fordert sie auf ein Lied über den Glauben zu singen:

 

3Groß und wunderbar sind deine Werke, Herr, allmächtiger Gott! Gerecht und wahrhaftig sind deine Wege, du König der Völker.

4Wer sollte dich, Herr, nicht fürchten und deinen Namen nicht preisen? Denn du allein bist heilig! Ja, alle Völker werden kommen und anbeten vor dir, denn deine Urteile sind offenbar geworden.

 

Zuvor geht Johannes auf die Schrecken der Zeit ein und sagt, dass diese Schrecken überwunden sein werden. Dabei beschreibt er in einem grausamen Bild, wie die ersten Christinnen und Christen von der Bedrohung durch den römischen Staat gerettet werden: Da stehen Menschen an einem gläsernen Meer, das mit Feuer vermischt ist und in dem offenbar ihre Verfolger ertrunken sind – Bilder die uns nicht fremd sind in der Bibel. Schon der Pharao und sein Gefolge fielen den Fluten zum Opfer, als Gottes Zorn sie traf. Die Geretteten hingegen stimmen ein Siegeslied an. Die Menschen, die vor dem Untergang in der Flut gerettet wurden und nun am sicheren Ufer stehen, freuen sich über ihr Überleben. Aber nicht alle sind davongekommen, sondern nur die, die dem Lamm, also Christus treu geblieben sind. Die dagegen, die das Bild des Kaisers angebetet haben, sind in der Flut ertrunken.

Wie mag dieses Bild auf die Menschen damals gewirkt haben? Haben sie neue Hoffnung geschöpft, weil ihr Glaube belohnt wird? Haben sich einige aber auch Gedanke gemacht, was aus ihnen wird, wenn sie den Schein wahren? Ich frage mich als Seelsorger, ob die drastischen Worte des Johannes in der angespannten Situation angemessen sind.

 

Der Seher Johannes jedenfalls ist sehr eindeutig in seiner Darstellung. Seine Offenbarung ist kein Buch für zartbesaitete Seelen. Meist ist vom Schrecken die Rede, und so ist das Wort „Apokalypse“, das ursprünglich einmal „Offenbarung“ bedeutete, zum Synonym für den „Weltuntergang“ geworden. In der Offenbarung gibt es eine ganze Menge Schreckensszenen, und die bekannteste ist wohl die von den vier apokalyptischen Reitern, die Tod und Verderben bringen. Inmitten dieser Schrecken zu singen – dieses Bild wird nur hier in dem Bericht des Sehers aufgemacht.

Die Offenbarung hat Menschen seit je her herausgefordert. Dazu gehört auch, dass all diese Schrecken von Gott über die Erde gebracht werden. Ähnlich wie die Plagen, die er über die Ägypter verhängte, weil sie das Volk Israel versklavt hatten und nicht in die Freiheit ziehen lassen wollten, sind auch die apokalyptischen Reiter und die anderen Schrecken von Gott gewollt. Sie handeln in seinem Auftrag. Sie sind Teil seines Kampfes gegen das Böse.

Bei diesem Kampf gegen das Böse gibt es auch „Kollateralschäden“ - Obwohl der Schreiber der Offenbarung das nicht so nennen würde. Für ihn hat jeder Mensch eine Wahl. Entweder er stellt sich auf die Seite Gottes oder er wählt die Seite des „Tiers“. Johannes meint damit zu seiner Zeit den römischen Kaiser Domitian, der als erster sein Bild anbeten ließ und jedem, der das verweigerte, Strafen androhte.

 

Und was ist mit den Christinnen und Christen, die nur zum Schein ihre Opfer zum Kaiser bringen? Die berechtigter Weise Angst haben, in der Arena zu landen?

 

Der Verfasser der Offenbarung ist da unerbittlich. Sie haben den Zorn Gottes verdient und werden wie alle anderen umkommen. Das ist die harte Seite des Sehers. Aber er hat auch noch eine andere Seite. Selbst dieser strenge Mann weiß, wie sehr Furcht Menschen lähmen kann. Einerseits wird er nicht müde, dem Betrachter immer neue Schreckensvisionen vor Augen zu stellen; andererseits weiß er selbst, dass irgendwann auch der Stärkste Trost und Hoffnung braucht. Also streut er Bilder dazwischen, die von der Hoffnung reden. Das Bekannteste ist wohl das, wo vom neuen Jerusalem die Rede ist, wo Gott alle Tränen abwischen wird. Ein anderes ist die heute gehörte Szene am gläsernen Meer, wo die Geretteten Gott ein Loblied singen. Auf den Schrecken folgt das Lob an Gott. Vor dem Hintergrund der Zeit wird ersichtlich, welch großes Hoffnungsbild das ist: Unbekümmert laut und öffentlich über den eigenen Glauben zu singen – das hätten sich die ersten Christinnen und Christen wohl nie ausgemalt.

Die Leser der Offenbarung lebten aber noch in ihrer schrecklichen Wirklichkeit, wo für solch einen Gesang Verfolgung und Strafe drohten. Kann man aber überhaupt in Angst und Not singen? Ähnlich wie für das Volk Israel nach dem Durchzug durchs Schilfmeer war das Gelobte Land auch für unsere ersten Glaubensgeschwister noch in weiter Ferne. Wenn wir den Seher Johannes fragen würden, würde er wohl sagen: Natürlich kann man das. Die Menschen, die durch das Schilfmeer gezogen sind, haben es euch doch vorgemacht. Sie haben gesungen, obwohl die Not noch lange nicht zu Ende war. Ebenso hielten es die Verfasser der Psalmen. Und schließlich ist das Schreckliche nur der Anfang der Erlösung. Sie steht unmittelbar bevor.

So zumindest die Meinung des Sehers Johannes. Vielleicht würden seine Worte heute etwas anders klingen, wenn sich das Warten auf Gottes Reich schon 2.000 Jahre hinzieht und die Schrecken in unserer Welt nicht weniger werden.

Doch bei all meinen kritischen Anfragen an diesen Bibeltext hatte der Seher Johannes meiner Meinung nach in einem Punkt recht: Singen hilft, mit seinen Gefühlen zurechtzukommen. Egal ob es überschießende Freude ist, Trauer oder Angst. Manchmal singen Menschen allein. Es macht nicht so viel Freude wie gemeinsames Singen. Schöner ist es, in der Gemeinde mitzusingen oder vielstimmig in einem Chor – der Chor unserer Gemeinde kann das heute hoffentlich bestätigen.

Der heutige Sonntag lädt uns ein zu singen - Singen wir also. Wir haben das große Glück in einer Zeit und einem Land zu leben, wo wir laut über unseren Glauben an einen Gott singen können. Einen Gott, der uns zusagt diese Welt zu verwandeln – ob nun so wie in den Schrecken der Offenbarung dargestellt oder nach seinem ganz eigenen Plan, weiß ich nicht zu sagen. Aber Gott will diese Welt verwandeln – so können wir ein Lied anstimmen, gerne auch ein Loblied. Singen wir, auch wenn der Schrecken morgen wiederkommen wird. Singen wir an gegen die Kriege dieser Welt oder gegen die Zerstörung der Umwelt. Davon wird der Schrecken nicht aufhören. Aber womöglich wird er erträglicher, wenn wir uns gemeinsam versichern, dass wir an einen Gott glauben, dem diese Welt und diese Menschen nicht egal sind.

 

Amen.

 

Amen.