Lesepredigt zu Heiligabend 24.12.2024
Lukas 2,1-20
Gnade sei mit euch und Friede von Gott unserm Vater und dem Herrn Jesus Christus
Was macht für Sie die Weihnachtszeit aus? Ist es das gute Essen, das es in diesen Tagen gibt? Wenn Düfte nach Gewürzen, Gebäck und Braten aus der Küche die Vorfreude auf das Beisammensein am Essenstisch wecken? Vielleicht ist es die Geselligkeit in diesen Tagen, wenn die Familie zusammenkommt oder aber wenn man sich mit Freunden, Kolleginnen und Kollegen auf Weihnachtsfeiern trifft und eine schöne Zeit verbringt? Oder sind es die Lieder, die in diesen Tagen erklingen? Altbekannte Melodien, die fast jeder seit Kindestagen an gehört hat und mitsingen kann. Vielleicht sind es aber auch die Geschenke? – Zumindest als Kind war mir das immer besonders wichtig. Wenn es hieß, dass man diesen oder jenen Schrank nicht mehr öffnen soll und Opa mal wieder kurz vor der Bescherung zur Arbeit muss und dann den Weihnachtsmann verpasst. Da freute man sich schon lange im Voraus und war jedes Mal gespannt, was sich hinter der schönen Verpackung des Geschenks verbirgt. Heute ist mir hingegen das Schenken wichtiger geworden und die Freude, wenn man den Geschmack des anderen getroffen hat. Oder machen für sie die vielen Lichter das Besondere der Weihnachtszeit aus? In einer Jahreszeit, in der die Tage kürzer und die Nächte länger werden, leuchtet es in allen Ecken in den verschiedensten Formen: feierliche Kerzen, moderne Beleuchtungstechnik, altes traditionelles Handwerk aus dem Erzgebirge und moderne Massenware aus China kommen in dieser Zeit des Jahres zusammen und vertreiben das Dunkel der Nacht.
So vieles fällt einem ein, wenn man daran denkt, was die Weihnachtszeit so besonders macht. Eine Zeit im Jahr, die wir mit allen unseren Sinnen erleben. Eine Zeit, in der Düfte, Überraschungen, Lieder, Menschen und Lichter alte Erinnerungen wecken und neue Erlebnisse schaffen. Eine Zeit, in der die Welt zumindest gefühlt etwas heiler zu sein scheint als sonst.
Die Weihnachtszeit scheint eine ganz eigene Wirklichkeit zu entfalten, in der vieles so gut und heil scheint. Eine Zeit, auf die sich viele immer wieder im Jahr freuen. Eine Zeit, nach der man sich sehnt und die Hoffnung hat, dass es doch öfter so im Jahr sein möge.
Da gibt es aber auch noch eine andere Wirklichkeit in dieser Weihnachtszeit: die manchmal kalte und nüchterne Gegenwart dieser Welt. Eine Welt, in der Kriege toben, einige sogar nur ein paar hundert Kilometer von uns entfernt. Eine Welt, in der immer noch vieles ungerecht verteilt ist. Eine Welt, in der zu viele auf das vermeintliche Recht des Stärkeren bestehen und damit meinen die Ausbeutung der Natur und ihrer Mitmenschen legitimieren zu können. Eine Welt, in der sich Angst und Zweifel breit machen, was viele bewusst nutzen, um mit falschen Meldungen weitere Unsicherheit zu stiften. Eine Welt, in der vieles so finster scheint wie in einer nicht enden wollenden Nacht. So vieles gibt es an unserer Gegenwart zu beklagen – nicht wenige schauen mit Sorge auf das neue Jahr, wenn in Deutschland eine neue Regierung gewählt wird. Wollen wir heute einmal diese Gegenwart der Welt ausblenden, um uns ganz der schönen Wirklichkeit hinzugeben, die uns in der Weihnachtszeit geschenkt ist? Für einige Tage einmal der Welt entfliehen und im neuen Jahr stehen die alten Sorgen dann wieder vor der Tür. Oder wollen wir schauen, was diese Weihnachtszeit uns noch bedeuten kann?
Die Geschichte der Weihnacht – die Geburt Jesu in einem Stall im kleinen Bethlehem, geschah nicht losgelöst von dieser Welt. Es geschah in einer Zeit, die für viele Dunkel war – tiefste Nacht legte sich damals auf die Herzen der Menschen. Da gab es Krieg durch das römische Reich, Armut und Hunger in breiten Teilen der Bevölkerung. Unsicherheit, ob es morgen noch Arbeit geben wird und die ständige Angst, dass es wieder zu offener Gewalt kommen könnte. Viele Probleme gab es zu der Zeit, in der Jesus geboren wurde. Für viele fühlte sich das wie eine endlose Nacht an – morgen werden wir beim Evangelisten Johannes daher auch hören:
„Das Licht scheint in der Finsternis, und die Finsternis hat’s nicht ergriffen.“
Finster, trostlos, hoffnungslos - so empfanden viele die Zeit, in der Jesus geboren wurde. Von einigen haben wir heute in der Weihnachtsgeschichte gehört. Maria und Josef etwa, die aufgrund staatlicher Gewalt gezwungen waren in einer so sensiblen Zeit wie der ersten Schwangerschaft die vertraute Heimat zu verlassen. Oder aber auch die Hirten, die des Nachts auf dem Felde unterwegs waren – sie waren nicht gerade angesehen in ihrer Zeit. Als Taglöhner kamen sie gerade so über die Runden. Ihr Lebensalltag war finster. Doch mitten in der nächtlichen Finsternis des Lebens strahlt Gottes Wirklichkeit in Form der Engel auf und sagt ihnen zu, dass sie sich nicht fürchten sollen. Sie haben Grund zur Hoffnung wegen eines Kindes, das ihnen und uns allen geboren wurde.
Gottes Wirklichkeit strahlt hinein in die finstere Nacht der Hirten – so fühlt es sich auch für viele an, wenn die Weihnachtszeit die Gegenwart der Welt durchbricht. Die Hirten machten sich auf den Weg. Sie wollten sehen, was geschehen ist. Gott ist Mensch geworden – einer von uns. Damit schenkte Gott damals Hoffnung: Die Nacht wird nicht endlos sein. Gottes Wirklichkeit wird in diese Welt strahlen, um die Verhältnisse dieser Welt zu verändern. Diese Hoffnung gilt über Zeit und Raum hinweg. Diese Hoffnung ist auch uns heute zugesagt. Hoffen leitet sich im Deutschen von hüpfen ab. Hoffnung lässt unser Herz hüpfen Hoffnung lässt unseren Geist über die nüchterne Gegenwart dieser Welt hinausspringen. Hoffnung lässt uns von Zukunft träumen - von einer Wirklichkeit, die noch nicht ist, aber zu der wir in großen oder kleinen Sprüngen gelangen.
Heute sind wir versammelt in unserer christlichen Hoffnung. Wir teilen unsere Hoffnung darauf, dass die Nacht nicht ewig finster bleibt. Wir hoffen gemeinsam, dass sich unsere Gegenwart zum Besseren wandelt. Wir hoffen, dass die Wirklichkeit der Weihnachtszeit anhalten möge. Diese Hoffnung ist nicht unbegründet. Diese Hoffnung ist kein Verdrängungsmechanismus. Diese Hoffnung ist keine Flucht aus unserer Gegenwart in eine jenseitige Traumwelt. Unsere Hoffnung ist begründet in Gott, der uns an Weihnachten ganz nahegekommen ist, als er selbst Mensch geworden ist. Gott wurde einer von uns und hat seine Spuren auf unseren Menschenstraßen hinterlassen. Als Christinnen und Christen bekennen wir, dass Gott selber hineingegangen ist in unsere Geschichte. Gott ist in Jesus Mensch geworden – das feiern heute. Der Weg Jesu von der Krippe bis zum Kreuz ist die wichtigste, die alles entscheidende Spur Gottes auf unseren Menschenstraßen. Dieser Weg Jesu ist der Grund unserer Hoffnung.
Inmitten unserer krisengeplagten Welt ist da heute Gottes Zusage, dass er bei uns Menschen sein will. Gott spricht uns zu, bei uns zu sein, damit wir unsere Sorgen und Nöte bei ihm lassen können und unsere finsteren Nächte, die wir so manches Mal im Leben durchstehen müssen, nicht endlos sind. Diese Zusage der Wirklichkeit Gottes in unserer Gegenwart kann uns Hoffnung schenken. Es lässt das Herz vor Freude hüpfen. Ich wünsche uns, dass wir die Wirklichkeit Gottes erfahren, so wie wir jetzt das Leuchten der Weihnachtszeit erfahren. Ich wünsche uns, dass wir auf diesen Gott hoffen, der uns an Weihnachten ganz nahegekommen ist und diesen Gott in unser Leben lassen, damit unsere Nacht nicht endlos ist.
Amen.