Lesepredigt

Lesepredigt zu Erntedank 06.10.2024

1. Timotheus 4,4-5

 

Gnade sei mit euch und Friede von Gott unserm Vater und dem Herrn Jesus Christus.

 

Vor kurzem war ich bei meinen Großeltern zu Besuch – sie sind jetzt Mitte siebzig und betreiben immer noch einiges an Landwirtschaft auf dem großen Gehöft: Da sind die Hühner, die regelmäßig ihre Eier legen, die meckernden Gänse, denen es bald an den Kragen geht, die Kartoffeln auf dem Acker, die bald geholt werden und natürlich die Obstbäume und Gemüsesorten im großen Garten. Das ist eine Menge Arbeit – bei den Besuchen muss ich immer wieder daran denken, wie oft ich früher als Kind und Jugendlicher mitgeholfen habe. Als ich so sah, wie meine Großeltern sich abmühen, dachte ich so bei mir, dass ich froh bin nicht so viel Arbeit in den Garten oder gar in eigenes Vieh zu investieren. Wenn ich etwas brauche, dann gehe ich ganz entspannt in den Supermarkt um die Ecke.

So wie ich denken heute viele in der Gesellschaft – den Wert der Landwirtschaft wissen nur noch wenige zu schätzen. Die Nahrungsmittel, die wir zum Leben brauchen, stehen in Hülle und Fülle in den Geschäften. Woher die Lebensmittel kommen, wie viel Arbeit darin steckt – das interessiert viele nicht. Meistens gilt: Der Kunde ist König und dieser möchte vor allem preisgünstig an sein Essen kommen. Immer neue Sonderangebote werden gemacht – doch auf wessen Kosten, das fragen wir uns nur selten. Die Inflation der letzten Jahre hat uns gezwungen preisbewusster einzukaufen, doch die Mehrheit von uns lebt nach wie vor im Überfluss – Hungern muss man in Deutschland nach wie vor nicht.

Wenn wir heute Erntedank feiern, dann ist das ein Stück Widerspruch gegen den Zeitgeist. Wir wollen nicht alles für selbstverständlich nehmen, sondern wir wollen fragen, wem wir unser Leben verdanken. Wem danken wir für die Früchte und Blumen, mit denen die Kirche geschmückt ist? Wir wollen uns erinnern: Erinnern an Mühe und Arbeit, die nötig sind, damit geerntet werden kann. Erinnern aber auch an Gott, der auf unser menschliches Werk seinen Segen legt. Dazu hören wir heute Worte des Apostel Paulus an seinen Mitarbeiter:

 

4 Denn alles, was Gott geschaffen hat, ist gut, und nichts ist verwerflich, was mit Danksagung empfangen wird;

5 denn es wird geheiligt durch das Wort Gottes und Gebet.

 

Zwei Gedanken dieses kurzen Ratschlags des Paulus möchte ich heute an Erntedank besonders bedenken:

Was Gott geschaffen hat, ist gut.

Danken hilft gegen Gedankenlosigkeit.

 

Was Gott geschaffen hat, ist gut. - Können wir das heute noch so einfach sagen? Müssen wir hinter diesen Satz nicht ein dickes Fragezeichen setzen? Was Gott geschaffen, das war vielleicht einmal gut. Doch was haben wir Menschen daraus gemacht? Das Lob der Schöpfung ist für viele zu einem Klagelied geworden. Die Zerstörung der Umwelt macht uns Angst. Wer mit offenen Augen durch die Welt geht, kann die Alarmzeichen nicht übersehen, auch wenn es immer noch viele gibt, die den negativen Einfluss des Menschen auf die Schöpfung Gottes verleugnen. Wie aber wollen wir umgehen mit diesem alarmierenden Zustand? Wir könnten uns jetzt darüber beschweren, dass wir kleinen Leute den Müll trennen müssen, während die großen Firmen mit ihren Schornsteinen die Luft verpesten. Wir könnten diskutieren, warum Bequemlichkeit und Geld für viele wichtiger sind als Umweltschutz. Doch der Predigttext macht einen anderen Vorschlag. Er sagt: Besinnt euch zurück auf den Anfang. Erinnert euch an die Grundlage des Lebens. Die Welt ist nicht durch Zufall entstanden, sondern sie ist eine gute Schöpfung Gottes. Gut meint etwas anderes als für uns Menschen angenehm. Es gibt in der Schöpfung manches, das wir nicht verstehen. Was auf den Feldern wächst, ist von Schädlingen und Unwettern bedroht. Naturkatastrophen verbreiten immer wieder Angst und Schrecken. Menschen leiden unter Krankheiten und müssen oft viel zu früh sterben. Die gute Schöpfung ist mehr als das, was ich sehe und begreife. Die Schöpfung ist gut von dem her, wie Gott sie begonnen hat und wie er sie einst vollenden wird. Doch schon heute können wir die Güte des Schöpfers in seiner Schöpfung erkennen. Jahr für Jahr erleben wir ein großes Wunder mit. Denken Sie nur an den Weg vom Korn zum Brot. Wir Menschen können säen, wir können ernten, wir können Mehl mahlen und die Backwaren in den Ofen schieben. Aber das, was dazwischen liegt, das, worauf es eigentlich ankommt, dafür können wir nichts tun: das Keimen der Saat, den Frühjahrsregen und die Sommersonne, das Wachsen vom kleinen Spross zum langen Halm, die Fülle der Körner in der reifen Ähre. Das ist das Geheimnis der Schöpfung. Gott hat der Natur eine Ordnung gegeben, von der wir leben. Die Frucht der Felder, das Obst an den Bäumen, das Gemüse in den Gärten – durch die Schöpfung sorgt Gott für uns.

Dieser Zusammenhang der Schöpfung lässt sich noch weiter fassen. Die Fähigkeiten und Begabungen, die wir in unseren Berufen brauchen, unser Miteinander in Familie, Partnerschaft, Freundschaft und Nachbarschaft – all´ das gehört mit hinein in Gottes gute Schöpfung. Das ist die Grundlage, auf die er unser Leben stellt. So wie in der Natur die Saat zur Ernte heranwächst, so können auch in unserem Leben Früchte reifen. Das alles meint Paulus, wenn er schreibt: Was Gott geschaffen hat, ist gut.

Und damit kommen wir zum zweiten wichtigen Gedanken: Danken hilft gegen Gedankenlosigkeit. Paulus schreibt an seinen Mitarbeiter: „Nichts ist verwerflich, was mit Danksagung empfangen wird.“ Wie ist dieser Satz zu verstehen? Zur Zeit des Neuen Testaments gab es Christen, die anderen vorschreiben wollten, was sie essen dürfen und was nicht. Dabei ging es hauptsächlich um Fleisch, das anderen Göttern geopfert war und nach dem Ritual in einem Tempel oder Heiligtum auf dem Markt verkauft wurde. Darf ein Christ etwas essen, das einer anderen Gottheit gewidmet war? Paulus gibt eine überraschende Antwort. Er will keine neuen Vorschriften aufstellen. Er sagt: Bleibt in der Schöpfungsordnung Gottes. Diese Ordnung wird dadurch eingehalten, dass der Mensch Gott für das dankt, was er empfängt. So gibt das Geschöpf dem Schöpfer die Ehre. Wo wir das von Herzen tun können, da dürfen wir Gottes Gaben ohne schlechtes Gewissen genießen. „Nichts ist verwerflich, was mit Danksagung empfangen wird.“

Gerade in unserer Zeit wird die Antwort des Paulus aktuell. Manche fragen: Wie kann ich danken, wenn ich an den Hunger und das Elend in der Welt denke? Und wie soll ich Erntedank feiern, wenn ich weiß, dass die Landwirtschaftspolitik und der Preisdruck immer mehr Landwirte um ihre Existenz bringt?

Doch gerade der Dank an Gott hilft uns, zweierlei auseinander zu halten: das, was Gott gut geschaffen hat – und das, was wir Menschen schlecht gemacht haben. Wer dankt, wird nicht gedankenlos und gleichgültig bleiben. Wo ich Gott für die Fürsorge in meinem Leben danke, da kann ich die Sorgen der anderen nicht einfach beiseiteschieben. Deshalb ist es eine gute Sitte, dass die Erntegaben dieses Festes an bedürftige Menschen weitergeben werden. Danken hilft gegen Gedankenlosigkeit. Wer dankt, der erweitert seine Perspektive und fragt sich, wer alles beteiligt war, damit ich mein Essen genießen kann. Wer dankt wird sich fragen, wie unsere Schöpfung zu schützen ist, wie Arbeitsbedingungen für Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion zu verbessern sind und wie wir gemeinsam an einem gerechteren Miteinander in unserer globalisierten Welt arbeiten wollen. Das Erntedankfest will uns helfen, Dankbarkeit einzuüben. Die Freude über das Wachstum und die Schöpfung soll uns den Blick für den Schöpfer öffnen. Was Gott geschaffen hat, ist gut. - Wer aus diesem Vertrauen lebt, der wird Gottes Segen im eigenen Leben entdecken und selbst zum Segen für andere werden.

Amen.